Das Riemann-Thomann-Modell bietet eine strukturierte Perspektive, um die Individualität einer Person, unterschiedliche Perspektiven zu Themen sowie die vielfältigen Bestrebungen und Handlungen in einer Gruppe oder einem Team zu beschreiben und zu analysieren. Basierend auf den Forschungsergebnissen von Fritz Riemann (1961) über die Grundformen der Angst, differenziert das Modell zwischen verschiedenen Aspekten der Angst und ordnet sie gegensätzlichen Strukturen zu.
Gegensätzlich zur Nähe steht die Grundausrichtung Distanz. Diese bezieht sich auf die emotionale und physische Distanz zwischen Personen. Sie umfasst Bedürfnisse nach Raum, persönlicher Autonomie und Grenzen.
Diese Grundausrichtung bezieht sich auf die zeitliche Dimension von Beziehungen. Sie umfasst die Stabilität und Beständigkeit von Beziehungen im Laufe der Zeit sowie das Bedürfnis nach Kontinuität oder Veränderung.
Gegensätzlich zur Dauer steht die Grundausrichtung Wechsel. Diese bezieht sich auf Veränderungen in Beziehungen, die Häufigkeit von Interaktionen und das Bedürfnis nach Abwechslung oder Neuem.
Im Verhältnis zwischen Nähe und Distanz sowie Dauer und Wechsel kann das Heimatgebiet eines Individuums verortet werden. Dieses Heimatgebiet beschreibt die Grundbestrebungen einer Person und bildet eine grundlegende Basis des Handelns, Bewertens und der Kommunikation.
Das Riemann-Thomann-Modell eignet sich hervorragend, um die Vielschichtigkeit individueller Bedürfnisse, unterschiedlicher Perspektiven und Handlungen in Gruppen oder Teams zu analysieren und zu diskutieren. Es kann dabei helfen, die Spannungen und Dynamiken zwischen verschiedenen Bedürfnissen und Polen wie Nähe-Distanz und Dauer-Wechsel zu verstehen und zu bewerten.
Dieses Modell kannst du im Kontext eines Kommunikationstrainings, eines Führungskräftetrainings oder einem Change-Management Training einsetzen. Auch bei der Arbeit mit einer neuen Gruppe, einem Core Team oder in einem Mitarbeitergespräch ist es nützlich, um die unterschiedlichen Perspektiven, Wünsche, Erwartungen und Bedürfnisse im Zuge der gemeinsamen Zusammenarbeit zu definieren.
Stell dir vor, du leitest ein Team, das sich neu konstituiert. Nachdem im Training die Übung zum Kalibrieren abgeschlossen ist, erläuterst du das Riemann-Thomann Modell am Flipchart und präsentierst einige stereotypische Aspekte der vier gegensätzlichen Pole. Du berichtest von Heimatgebieten und individuellen Perspektiven. Anschließend interviewen sich jeweils zwei Teilnehmende und finden in dem gemeinsamen Gespräch heraus, wo die jeweiligen Heimatgebiete liegen. Als Orientierung gibst du den Teams einzelne Fragen mit in die Gespräche: „Welche Situation aus deinem Arbeitsalltag kannst du mir beschreiben, in der du genau die richtige / zu wenig / zu viel, Nähe / Dauer / Wechsel / Distanz hattest?“
Stelle sicher, dass die Teilnehmenden das Modell verstehen, indem du konkrete Beispiele für die Anwendung und die Bedeutung der Pole und des Heimatgebiets erklärst. Gib klare Anweisungen für die Übung und ermutige zu offenen Gesprächen über persönliche Erfahrungen.
Das Modell vereinfacht komplexe individuelle Bedürfnisse und Gruppendynamiken auf Grundausrichtungen, was eine differenzierte und tiefgreifende Analyse nicht ersetzt!
Quellen
Stahl, Eberhard: Dynamik in Gruppen, Beltz-Verlag, Basel 2017 Thomann, Christoph/Schulz von Thun, Friedemann: Klärungshilfe 1: Handbuch für Therapeuten, Gesprächshelfer und Moderatoren in schwierigen Gesprächen. rororo-verlag, Hamburg 2013 Riemann, Fritz: Grundformen der Angst. Verlag Ernst Reinhardt, München 2022
