Vielleicht hast du dich schon einmal gefragt, was ein gutes Coaching ausmacht und wie Coaches ihre Klienten und Klientinnen so begleiten können, dass am Ende der Zusammenarbeit die zu Beginn gesetzten Ziele erreicht werden.
Die Antwort auf diese Frage ist komplex, denn Coaching kann viele verschiedene Inhalte mit unterschiedlicher Bearbeitungstiefe abdecken.
Die komplexe Kunst des Coachings
Wie Coaches ihre Klient*innen zum Erreichen ihrer Ziele begleiten
Auf der inhaltlichen Ebene wird von uns Business-Coaches Fachkenntnis erwartet, egal ob es um Kommunikationsthemen, Zeitmanagement oder Leistung geht. Wir sollten wichtige Modelle kennen und erklĂ€ren können. Gegebenenfalls recherchieren wir und erarbeiten uns ein GrundverstĂ€ndnis des Themas. Ein Beispiel: Eine Klientin kommt ins Coaching mit dem Wunsch âbesser prĂ€sentieren zu könnenâ. Als Coach wĂŒrde ich fĂŒr diese Klientin wahrscheinlich ein paar BĂŒcher ĂŒber den Aufbau von PrĂ€sentationen, Visualisierung, Stimme und Körpersprache aus dem Regal holen, um inhaltlich im Thema zu sein. Doch die Vermittlung von Fachwissen ist nicht die Kernaufgabe des Coachings, sonst könnte der Klient ja auch einen Kurs besuchen oder ein Buch zum Thema lesen. Um zu verstehen, was wir dieser Klientin im Coaching mit welcher Methodik anbieten können, brauchen wir noch etwas Hintergrundwissen. Zum einen allgemeines Wissen ĂŒber Wirkfaktoren und Bearbeitungstiefen im Coaching und zum anderen spezifisches Wissen ĂŒber die Bearbeitungstiefe im konkreten Fall, d.h. die genaueren Ziele der Klientin und den zeitlichen Rahmen des Coachings.
Wirkfaktoren und Bearbeitungsebenen im Coaching
Der Unterschied, den Coaching ausmacht, beruht nach den âFreiburger Erfolgsfaktorenâ auf drei SĂ€ulen
(1) den Entwicklungsprozess zu strukturieren,
(2) den Klienten kooperativ zu begleiten und
(3) die inneren Ressourcen des Klienten zu aktivieren.
Zur Umsetzung dieser Erfolgsfaktoren benötigen Coaches vor allem methodische und soziale Kompetenzen.
Eine Forschungsarbeit von Jesse Segers von der Antwerp Management School beschreibt darĂŒber hinaus drei Ebenen der Bearbeitungstiefe:
die Skill-Ebene, wenn Klient*innen konkrete Verhaltensweisen in einem relativ kurzen Zeitrahmen erarbeiten wollen;
die Performance-Ebene, wenn die berufliche Leistung gesteigert werden soll oder sich neue Leistungsanforderungen aus einer neuen beruflichen Rolle ergeben. Die Dauer der Zusammenarbeit betrÀgt hier in der Regel einige Monate
als dritte Ebene kann Coaching die Persönlichkeitsebene betreffen. Hier stehen der Mensch, seine Motive, seine Persönlichkeit und seine Werte im Mittelpunkt. Nach Grant und Cavanagh (2004) könnte man dies auch als âTherapie fĂŒr Menschen, die keine Therapie brauchenâ bezeichnen. Auch hier liegt die Dauer bei mehreren Monaten.
Die konkreten Ziele unserer Klientin
Angenommen, die Klientin hat sich fĂŒr ein Coaching entschieden, weil sie in zwei Wochen eine PrĂ€sentation zu einem wichtigen Thema halten muss. Ihr Ziel ist es, sich gut vorzubereiten, im Sparring mit dem*der Coach verschiedene Ideen auszuprobieren und eine optimale PrĂ€sentation zu erarbeiten. Hier wird vor allem die Skill-Ebene angesprochen. Es geht um PrĂ€sentationskompetenz, um konkrete Verhaltensweisen in der Vorbereitung und wĂ€hrend der PrĂ€sentation. In den beiden folgenden Blog-BeitrĂ€gen dieser Mini-Serie werden wir dieses Fallbeispiel wieder aufgreifen und die Fragestellung so verĂ€ndern, dass im zweiten Teil die Performance-Ebene und im dritten Teil die Persönlichkeitsebene im Fokus stehen.
Fallbeispiel:
Coaching auf der Skill-Ebene zum Thema âBesser prĂ€sentierenâ
Unsere Klientin heiĂt Manuela. In der AuftragsklĂ€rung haben wir verstanden, dass Manuela in zwei Wochen eine wichtige PrĂ€sentation halten wird. Sie möchte sich gut vorbereiten, Ideen ausprobieren und eine optimale PrĂ€sentation erarbeiten. Auf der Skill-Ebene könnte ein Coaching beispielsweise in 3 Sessions ablaufen.
Session 1 (90 Minuten)
In der ersten Session legen wir gemeinsam fest, welche Verhaltensweisen Manuela bei ihrer PrĂ€sentation zeigen möchte. Dazu gehören zum Beispiel âdeutlich und langsam sprechenâ, âeine aufrechte, selbstbewusste Körperhaltung mit einem freundlichen LĂ€chelnâ und âstrukturiert argumentieren mit genĂŒgend Zeit fĂŒr Pausenâ. Wir notieren auf einer Skala von 1 bis 10, wie sicher sie diese Verhaltensweisen bereits beherrscht bzw. wie nahe sie diesem Ziel bereits gekommen ist. Auf dieser Basis erarbeiten wir gemeinsam Schritte zum Ziel.
Ich halte mich dabei an die Freiburger Erfolgsfaktoren:
Struktur geben
Wir erarbeiten gemeinsam einen Zeitplan, der auf den PrÀsentationstermin hinarbeitet.
Wir planen unsere Coaching-Sessions so, dass Manuela zwischen den Sessions gut weiterarbeiten kann.
Auch fĂŒr die erste Session halten wir uns an eine klare Struktur, z.B. Inhalte der PrĂ€sentation klĂ€ren, PrĂ€sentationsmethoden brainstormen und Transferaufgaben festlegen.
Ressourcen aktivieren:
Ich frage Manuela nach ihren bisherigen Erfolgsstrategien fĂŒr PrĂ€sentationen und wir ĂŒbertragen das âBest ofâ auf das aktuelle Ziel.
Wir erkunden auch andere Erfolgserlebnisse aus Manuelas Vergangenheit, vielleicht können Ressourcen aus dem Sport, der Familie oder einem Hobby genutzt werden.
Ich frage auch nach sozialen Ressourcen, z.B. um wertschÀtzende und kritische Feedbackgeber*innen in den Prozess einzubinden.
Kooperativ begleiten:
In jeder Phase der Zusammenarbeit bin ich als Coach so prÀsent wie nötig und gebe so viel Freiraum wie möglich.
Ich unterstĂŒtze beim Notieren von Ideen, gemeinsam loten wir weitere Möglichkeiten aus.
Ich höre aktiv zu und halte den Kontakt wertschÀtzend und lösungsorientiert.
Transferaufgabe Session 1:
Manuela hat sich vorgenommen, bis zur nĂ€chsten Session einen ersten Entwurf fĂŒr die PrĂ€sentation zu erstellen. AuĂerdem möchte sie von ihren Kolleginnen und Kollegen aktuelle Fallbeispiele zu ihrem Thema sammeln.
Session 2 (90 Minuten)
Zur zweiten Session bringt Manuela einen Entwurf fĂŒr ihre PrĂ€sentation mit, hat sich Formulierungen zurechtgelegt und einige interessante Fallbeispiele gesammelt. Im Laufe der Session prĂ€sentiert Manuela einzelne Passagen mehrmals, arbeitet Feedback ein und wir feilen an Haltung, Sprache und Struktur der PrĂ€sentation.
Struktur geben:
Wir beginnen mit einem Blick auf das Ziel und den bisherigen Stand (z.B. mit den ursprĂŒnglichen Skalierungsfragen).
Wir knĂŒpfen an die Inhalte der ersten Session und die Transferaufgabe an.
Wir legen gemeinsam die Vorgehensweise fĂŒr die zweite Session fest.
Ressourcen aktivieren:
Ich hebe alle Beobachtungen hervor, in denen sich âMuster des Gelingensâ zeigen, z.B. die klare Struktur des PrĂ€sentationsentwurfs, die passend ausgewĂ€hlten Bilder und Grafiken, das spannende AnwendungsbeispielâŠ
Wir aktivieren die positive Zielvorstellung aus der ersten Session.
Ich bleibe in einer wertschÀtzenden, lösungsorientierten Haltung.
Kooperativ begleiten:
Bei der PrÀsentation der ProbedurchlÀufe gebe ich wertschÀtzendes Feedback.
Ich gebe Anregungen, die Wahlmöglichkeiten bieten, ohne einzuengen.
Ich lasse Manuela Raum, um nachzudenken, Dinge anzupassen und an ihrer PrÀsentation zu arbeiten, ohne sie zu den nÀchsten Schritten zu drÀngen.
Transferaufgabe Session 2:
Manuela nimmt sich vor, ihre PrĂ€sentation âauf Hochglanz zu polierenâ. AuĂerdem möchte sie die Methode des Storytelling ĂŒben und die PrĂ€sentation mit einem persönlichen Erlebnis beginnen.
Session 3 (90 Minuten)
In der dritten und letzten Session arbeiten wir im Stil einer Generalprobe. Im Rollenspiel nehme ich verschiedene Rollen des âPublikumsâ ein. Manuela prĂ€sentiert mehrmals, stellt aber fest, dass durch das Storytelling und die vielen Fallbeispiele das Zeitlimit der PrĂ€sentation ĂŒberschritten wird. Nach einer kurzen Krise erarbeiten wir gemeinsam die PrioritĂ€ten und Manuela entscheidet sich, das Storytelling beizubehalten und dafĂŒr ein Fallbeispiel zu streichen. Sie verlĂ€sst die Session selbstbewusst, optimistisch und motiviert. Hier der Blick auf die Wirkfaktoren:
Struktur geben:
Wir beginnen mit einem Blick auf den PrÀsentationstermin und die letzten Schritte zum Ziel.
Wir bauen auf den Ergebnissen auf, die wir erarbeitet haben (auf der Skala liegen wir im Durchschnitt bei einer starken Sieben).
Meine Notizen helfen uns, schnell in die Arbeit einzusteigen.
Ressourcen aktivieren:
Durch hÀufiges Wiederholen der PrÀsentation wird der Ablauf und das Timing immer sicherer.
Wir feiern jeden Durchlauf mit einem High-Five.
Wir achten auch auf kritische innere Stimmen und nutzen sie als hilfreiche Ressource, um geerdet zu bleiben.
Kooperativ begleiten:
Ich versetze mich im Rollenspiel immer wieder in die Lage der Zuhörerinnen und Zuhörer der PrÀsentation.
Ich stelle wÀhrend des Rollenspiels interessierte und manchmal auch herausfordernde Fragen.
Ich gebe immer wieder Feedback, wenn eine Formulierung besonders gut gelungen ist.
Transferaufgabe Session 3:
FĂŒr den Transfer gestalten wir eine Abfolge von vier Schritten. Ăben, Loslassen, PrĂ€sentieren und Feiern. Ăben bedeutet, dass Manuela an zwei weiteren Tagen abends kurz die PrĂ€sentation ĂŒbt. Am Tag vor dem Termin wird sie vor allem loslassen und sich entspannt auf die erarbeiteten Skills verlassen. Bei der PrĂ€sentation wird sie die Skills so einsetzen, wie sie zur VerfĂŒgung stehen und danach das gute GefĂŒhl genieĂen, einen fĂŒr sie wertvollen Entwicklungsprozess durchlaufen zu haben. AuĂerdem wird sie mir eine kurze E-Mail schreiben, um mir von ihrer Erfahrung zu berichten.
Was, wenn die Skill-Ebene nicht den richtigen Ansatz bietet?
In diesem Fallbeispiel lief alles gut, die Methoden wurden von Manuela gut angenommen. AuĂerdem brachte die Klientin eine starke Basis an Motivation, Selbstaktivierung und Sicherheit mit. Was aber, wenn das Anliegen tiefer liegt? Mögliche Hinweise auf einen Coachingbedarf auf der Performance-Ebene könnten bei Manuelas Anliegen âbesser prĂ€sentierenâ sein:
âIch kann eigentlich gut prĂ€sentieren, aber bei wichtigen Themen werde ich schnell nervös und wirke dann schwach und unsicher.â
âSeit ich in meiner neuen Rolle bin, scheint mein Vorgesetzter mit meinen PrĂ€sentationen nicht mehr zufrieden zu sein. Ich bin mir nicht sicher, woran das liegt.
âIch muss regelmĂ€Ăig prĂ€sentieren, schiebe das Thema lustlos vor mir her und gerate jedes Mal in Zeitdruck.â
Mögliche Hinweise auf einen Coachingbedarf auf der Persönlichkeitsebene könnten bei Manuelas Anliegen âbesser prĂ€sentierenâ sein:
âIch bin jedes Mal total gestresst, wenn ich etwas prĂ€sentieren muss und habe schlaflose NĂ€chte.â
âIch habe Angst, Fehler zu machen und mich zu blamieren.â
âIch finde meine Arbeit sinnlos und die PrĂ€sentationen sind reine Zeitverschwendungâ.
Im nÀchsten Beitrag begleiten wir Manuela bei ihrer Entwicklung und gehen dabei detaillierter auf die Methoden und Möglichkeiten des Coachings auf der Performance-Ebene ein.