Entscheidungen in Gruppen moderieren

Eine Auswahl von Methoden zur Moderation unterschiedlicher Entscheidungssituationen.

Wenn Menschen mit unterschiedlichen Perspektiven zusammenkommen und trotzdem eine gemeinsame Entscheidung treffen sollen, dann kann es für Moderator*innen schnell sehr herausfordernd werden.

Als Hilfestellung möchte ich in diesem Vortrag zunächst den Unterschied zwischen Konsens- und Konsensentscheidungen aufzeigen und dann fünf konkrete Methoden der Entscheidungsmoderation in Gruppen vorstellen.

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Konsens oder Konsent?

Eine weit verbreitete Vorstellung davon, wie eine “gute” Entscheidung in Gruppen auszusehen hat, ist die Sehnsucht nach Konsens, also Einstimmigkeit. Dies ist die harmonischste Variante einer Gruppenentscheidung, da alle Beteiligten einer Meinung sind, mögliche Widersprüche vollständig aufgelöst werden, völlige Übereinstimmung und 100%iges Commitment aller Beteiligten herrscht. Je weniger komplex oder kompliziert eine Situation ist, desto eher ist ein Konsens möglich. Auch sehr homogene Gruppen mit starkem Gruppendenken oder in einer gemeinsamen Filterblase sind sich oft sehr einig.

In komplexen Situationen mit hoher Unvorhersehbarkeit und Ambiguität, also Mehrdeutigkeit, oder auch in crossfunktionalen Teams, in denen unterschiedliche Perspektiven zusammenkommen, ist die Entscheidungssituation mit mehr Spannung geladen. Aufgrund der unterschiedlichen Perspektiven wird es Widersprüche und auch Vorbehalte gegenüber den Vorschlägen anderer geben.

Um dennoch zu einer Entscheidung zu kommen, bietet sich die Konsentmethode an. Alle kommen zu Wort. Bedenken werden gehört und zur Kenntnis genommen, dürfen aber der Entscheidung nicht entgegenstehen.

Es wird jedoch unterschieden zwischen einfachen Bedenken und sogenannten schwerwiegenden Einwänden. Letztere müssen, wenn sie begründet sind, in die Entscheidung einfließen oder können sie verhindern.

Eine Entscheidung kann getroffen werden, wenn sie nach Abwägung aller Gesichtspunkte gut genug und sicher genug erscheint, nach dem Grundsatz: “good enough for now – safe enough to try”. Es genügt also, wenn es einen oder wenige Befürworter gibt und keine schwerwiegenden Einwände mehr dagegen sprechen. Ist die Entscheidung erst einmal gefallen, tragen alle mit vollem Engagement zur Umsetzung bei. Bei Amazon zum Beispiel gilt das Prinzip. “Disagree and commit!”

Nachdem nun die sehr harmonische einstimmige Entscheidung und die sehr agile Konsentmethode vorgestellt wurden, kommen wir zu fünf Entscheidungsverfahren, die in der Moderation in unterschiedlichen Situationen eingesetzt werden können.

Einfache Abstimmung

Zunächst die einfache Ja-Nein-Abstimmung. Dies ist eine einfache Methode zur Abstimmung zwischen Alternativen. Der Hauptvorteil liegt in der schnellen und einfachen Durchführung. Auch die Varianten Enthaltung oder Dreiviertelmehrheit gehören zu dieser Methode.

Allerdings hat dieses Verfahren auch einen großen Nachteil, denn es kann eine Gewinner-Verlierer-Dynamik entstehen (Stichwort: Kampfabstimmung). Wenn ich für A stimme, aber B gewinnt, dann habe ich nicht bekommen, wofür ich gestimmt habe. Daher eignet sich dieses Verfahren vor allem für Situationen mit geringer Komplexität und wenig Konfliktpotential.

Dot-Vote

Ein etwas differenzierteres Verfahren ist die Abstimmung mit mehreren Stimmpunkten (auch Dot-Vote-Verfahren genannt). Hierbei erhält jeder Stimmberechtigte mehrere Stimmpunkte (z.B. drei oder fünf oder zehn) und kann diese frei auf verschiedene Optionen verteilen. Wer eine besonders starke Präferenz hat, kann der gleichen Option drei Punkte geben, aber auch drei verschiedenen Ideen jeweils einen Punkt.

Am Ende erhält man ein gewichtetes Stimmungsbild der Gruppe mit einer Präferenz oder Priorisierung für die Option mit den meisten Punkten. Dadurch wird das Ergebnis auch für diejenigen akzeptabler, die eine andere Rangfolge gewählt hätten.

Ein Nachteil ist, dass dieses Verfahren etwas zeitaufwändiger ist und ggf. mehrere Abstimmungsrunden umfassen kann. Dieses Verfahren kann bei komplexen Entscheidungen mit unterschiedlichen Präferenzen in der Gruppe sinnvoll eingesetzt werden.

Entscheidungsmatrix

Eine sehr rationale Methode ist die sogenannte Entscheidungsmatrix, hier am Beispiel der Wahl des Ausflugsziels für den nächsten Wandertag erläutert. Die drei Alternativen sind: eine Bergwanderung – ein Segeltörn – ein Ausflug in einen Freizeitpark. Die Entscheidungskriterien der Gruppe sind: die Nähe zum Meer – das Budget – das mögliche Rahmenprogramm.

Bei dieser Methode werden also immer verschiedene Alternativen nach festgelegten Entscheidungskriterien bewertet, in unserem Fall vergeben wir pro Alternative und Kriterium 0-10 Punkte. Die Bergwanderung erhält null Punkte für “Nähe zum Meer”, die Segeltour schneidet bei diesem Kriterium mit zehn Punkten am besten ab. Nun können für die verschiedenen Alternativen nach den festgelegten Entscheidungskriterien Punkte vergeben und anschließend eine Summe gebildet werden.

In unserem Beispiel erhält die Bergwanderung 12 Punkte, der Segeltörn 14 Punkte und der Ausflug in den Freizeitpark 21 Punkte. Es gibt also eine klar abgeleitete, rationale und sachliche Begründung für die Entscheidung. Das ist der große Vorteil dieser Methode. Gleichzeitig ist es in vielen Situationen schwierig, klare Zahlen, Daten und Fakten zu erhalten.

Entscheidung qua Rolle

Es gibt immer wieder Situationen, in denen eine Gruppe keine Entscheidung treffen kann oder sollte. Zum Beispiel, wenn eine Pattsituation besteht, das Konfliktpotential zu groß ist oder die Gruppe einfach nicht den fachlichen Hintergrund hat, um eine sinnvolle Entscheidung zu treffen.

In solchen Situationen kann eine Entscheidung qua Rolle hilfreich sein. Diese Rolle kann hierarchisch begründet sein, d.h. die Führungskraft ist gefordert, die Pattsituation aufzulösen und Klarheit zu schaffen. Die Rolle kann aber auch eine Expertenrolle sein, wenn eine fachlich begründete Entscheidung zu treffen ist. Ein Vorteil der Entscheidung nach Rollen ist die Klarheit, allerdings können Entscheidungen nach Autorität Widerstand auslösen oder anfällig für Machtmissbrauch sein.

Entscheidung per Münzwurf

Die Entscheidung per Münzwurf ist eine paradoxe, aber sehr effektive Methode. Wenn keine andere Methode funktioniert und trotzdem eine Entscheidung getroffen werden muss, dann hilft der Münzwurf. In meiner Erfahrung ist folgendes psychologische Phänomen immer wieder besonders interessant:

Wenn ich mich mit Gruppen darauf geeinigt habe, eine Münze zu werfen und die Münze landet auf Option A, dann kann es sein, dass die Gruppe mich bittet, die Münze ein zweites Mal zu werfen. Entweder um sicher zu gehen, dass die Münze zweimal auf Option A fällt, oder um Option B vielleicht doch noch eine Chance zu geben. Das klingt auf den ersten Blick irrational, zeigt aber die klare Intuition, dass trotz rationaler Gleichwertigkeit der Optionen das Bauchgefühl offenbar doch eine Präferenz hat.

Entscheidungsprozesse – die hohe Kunst der Teamarbeit und Moderation

Eine gute Entscheidung zu treffen ist oft schon für eine einzelne Person eine Herausforderung. Wenn dann noch unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Perspektiven und Bedürfnissen zusammenkommen, die auch noch ein hohes Maß an Engagement mitbringen, dann sind Entscheidungsprozesse tatsächlich die hohe Kunst der Teamarbeit und der Moderation. Die hier vorgestellten Methoden sind ein guter Startpunkt, um als Moderator*in Gruppen in ihren Entscheidungen zu unterstützen.

Auch wenn die Entscheidung am Ende lautet, keine Entscheidung zu treffen, beide Alternativen umzusetzen oder etwas ganz anderes zu machen.

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