Wie passen Vorfreude, Trauer und Angst zusammen? Jedes Jahr freue ich mich auf eine kleine Präsenzveranstaltung “bei uns zu Hause” im Rahmen der Coaching-Ausbildung in der wundervollen Natur Valencias. Doch dieses Jahr war diese Vorfreude anders gefärbt. Weniger als einen Monat vor dem Termin hatte die Region eine Flutkatastrophe erlebt, die viel Zerstörung, Leid und Tod hinterließ. Diese Ereignisse haben mich tief getroffen. Sie brachten mich in Kontakt mit meiner eigenen Trauer und verstärkten meine Angst vor den menschengemachten Klimakatastrophen. Gleichzeitig fragte ich mich: Kann ich trotz dieser inneren Dynamik eine Ausbildungsgruppe mit Freude, Leichtigkeit und Optimismus begleiten? Muss ich das? Oder darf ich auch den anderen Gefühlen Raum geben?
Supervision: Ein sicherer Raum für Klarheit und Lösungen
Supervision ist für mich ein zwingend notwendiges Element in der Arbeit als Coach und Ausbilder. In schwierigen Situationen hilft sie mir, Perspektiven zu klären, innere Zwickmühlen zu lösen und handlungsfähig zu bleiben. Darum habe ich das Gespräch mit meinem langjährigen Supervisor Hans-Günther Simon von Wegedreieck gesucht. Mit ihm habe ich reflektiert, ob ich die Veranstaltung durchführen oder absagen sollte. Diese Frage war wichtig, denn ich wollte weder meine eigene emotionale Situation verdrängen, noch die Gruppe unbewusst mit meinen Themen belasten. Gleichzeitig suchte ich nach einer Lösung, wie ich mit dieser Herausforderung umgehen kann, wenn ich die Veranstaltung tatsächlich durchführe. Vor allem in den Momenten, wo zum Beispiel bei Spaziergängen die Folgen der Flut so deutlich zu sehen sind.
In der Supervision ging es darum, Wege zu finden, wie ich professionell und authentisch bleiben kann – bei mir selbst, bei der Gruppe und bei den Themen, die wir gemeinsam bearbeiten wollten. Dabei standen am Ende zentrale Fragen im Raum: Was ist in mir? Wie gehe ich damit um? Was davon darf ich menschlich und transparent einbringen? Was davon ist möglicherweise sogar hilfreich für die Entwicklung der Teilnehmenden? Was davon gehört nur zu mir und nicht in das Gemeinsame? Und: Kann ich das alles so managen, dass ich – trotzdem oder gerade deswegen – meiner Rolle gerecht werde und authentisch Halt für mich und die Gruppe geben kann?
Theorie trifft Praxis: Der Platz für Trauer, Freude und Resilienz
Ich liebe es, wie Theorien und Modelle in solchen Situationen Aufschluss geben können. Zum Beispiel die Altersregression, die zumindest einige Seiten in mir erleben, wenn sie sich hilfsbedürftig fühlen. Oder die Antreiber, die mir sagen, dass ich stark sein soll und mich anstrengen muss, um es allen recht zu machen. Und natürlich die Spiele und Transaktionen, die die Beziehungsdynamik beeinflussen – was macht es mit den Teilnehmenden, wenn der Lehrcoach eine verletzliche Seite zeigt? Welche Übertragungen und Gegenübertragungen finden hier statt?
In meiner Reflexion wurde mir klar, dass Gefühle wie Trauer, Freude und Resilienz ihren Platz im Gruppenprozess haben dürfen. Diese Balance ist entscheidend: Trauer muss nicht verdrängt werden, ebenso wenig wie Freude. Beides kann nebeneinander existieren und die Gruppen-Identität stärken.
Durch Transparenz und ein klares Contracting können solche Dynamiken transformiert werden. Es geht darum, den Raum bewusst zu gestalten, sodass die Gruppe erlebt, dass schwierige Emotionen nicht die Kontrolle übernehmen müssen, sondern Teil eines reflektierten Prozesses sein können. Diese Offenheit stärkt die individuelle und kollektive Resilienz und bietet eine wertvolle Grundlage für persönliches Wachstum und nachhaltige Entwicklung.
Authentizität in der Ausbilder-Rolle: Menschlich und professionell zugleich
Eine der bestärkendsten Erkenntnisse war, wie wichtig Authentizität in meiner Rolle als Ausbilder im Business-Coaching ist. Authentisch zum „Ich“, authentisch zum „Wir“ und authentisch zu den Themen – das ist der Dreiklang, der meine Arbeit trägt.
Gleichzeitig habe ich gelernt, achtsam zu prüfen, welche Themen ich in den Gruppenprozess einbringen kann, welche nur für mich selbst sind und bis zu welchem Punkt ich meine Rolle als Lehrtrainer ausfüllen kann. Wo sind die Grenzen, an denen ich innehalten und bewusst entscheiden muss, ob ich mich zurücknehme oder einen Aspekt thematisiere?
Dieses Bewusstsein stärkt nicht nur meine eigene Rolle, sondern gibt der Gruppe die Möglichkeit, durch diese gemeinsame Erfahrung einen reflektierten Umgang mit Emotionen auf einer Meta-Ebene zu lernen. So entsteht ein Raum, in dem Persönlichkeitsentwicklung und fachliches Lernen Hand in Hand gehen können.
Persönliche Lernpunkte: Balance und Klarheit als Schlüssel
Die Reflexion in der Supervision hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, Beziehungsdynamik – inklusive Projektionen, Übertragung und Gegenübertragung – bewusst zu beobachten. Es erfordert eine klare Balance: meine eigenen Themen anzuerkennen, sie aber nicht zum Hauptthema der Gruppe zu machen.
Es ist wertvoll, solche Prozesse transparent zu machen – immer mit Blick darauf, was der Gruppe nützt und wie wir gemeinsam reflektieren und lernen können. Diese Fähigkeit hilft mir, meinen Fokus zu bewahren und die Gruppe in ihrer eigenen Entwicklung zu unterstützen.
Dankbarkeit für Klarheit und Berufung
Eine Woche nach der Präsenzveranstaltung bin ich vor allem dankbar. Ich bin dankbar für die Möglichkeit, durch Supervision Klarheit für mich selbst zu gewinnen, für den Raum, den wir als Gruppe gemeinsam gestaltet haben und für die Menschen dieser Ausbildungsgruppe, die diesen Raum wunderbar nutzen konnte.
Ich bin auch dankbar für den faszinierenden Beruf als Coach und Coaching-Ausbilder im Bussiness-Coaching, der es mir ermöglicht, mich ständig weiterzuentwickeln und gleichzeitig andere Menschen in ihrer Entwicklung zu begleiten.
Wir wachsen immer gemeinsam – als Menschen, als Gruppe, als Gemeinschaft. Und in diesem Prozess liegt eine große Kraft, die uns befähigt, sowohl schwierige Zeiten zu meistern als auch Hoffnung und Freude zu bewahren. In einer Welt voller Herausforderungen ist genau das ein Grund, weiterzumachen und diesen Weg gemeinsam mit anderen zu gehen.